Sonntag, 15. Januar 2012

die anderen und die geduld

gerade liege ich auf dem sofa und (lese und) denke (dann).
da geht mir durch den kopf, dass es ein interessantes phänomen ist - das mit 'den anderen'.

herleitung:
babys haben ja zunächst keine wahrnehmung vom unterschied zwischen 'ich" und 'andere". irgendwann im frühen kindesalter entwickeln sie dann eine 'ich"-wahrnehmung, werden sich also der tatsache bewusst, dass da ein unterschied besteht.
und dann verbringt man seine kindheit in einer recht harmonischen welt: man beurteilt sich und andere ungefähr ähnlich, wobei man - gesunderweise - dem 'ich' ein bisschen freundlicher gegenüber steht als dem 'anderen'. (so in der art: wenn ich den teddy vom anderen will und ihn mir nehme, ist das ok, umgekehrt geht das aber gar nicht! ;-) )

weiterführung:
im laufe des erwachsenwerdens, beginnend in der (allseits beliebten) pubertät, fängt man dann damit an, das 'ich' und das 'andere' mit zweiterlei maß zu messen. meiner ansicht nach gibt es da zwei richtungen:
1. man stellt das 'ich' ins zentrum der welt. alles hat sich - was wünsche, bewertung und entscheidungen angeht - um dieses zu drehen. daraus erwächst dann die tendenz, sich selbst geduldiger und nachsichtiger gegenübers zu stehen als den anderen. 
2. man stellt das 'ich' neben die mitte. es dreht sich um die anderen. daraus erwächst dann die tendenz, andere mit nachsicht und egduld zu betrachten - bis zu einem gewissen grade, wenn alles gut geht (in extremen übermaß, wenn ewtas schief geht/gegangen ist) - sich selbst aber mit deutlich strengeren augen zu betrachten.

nicht nur heute auf dem sofa liegend stelle ich fest: im laufe meines lebens - und ich kann mich verhältnismäßig weit zurück erinnern - habe ich mich immer weiter von der mitte entfernt. das bedeutet, dass sich in "meiner" mitte inzwischen eine menge 'anderer" befinden, um die ich mich mit geduld und nachricht drehen kann. mein eigenes 'ich' aber hat strenge regeln zu befolgen. sonst find ich es nicht mehr so ok.

fragen:
1. warum entwickeln wir uns im laufe des lebens weg von einem - meiner ansicht nach - gesunden verhältnis von 'ich' und 'anderen', in dem wir beide gleich fair (oder manchmal unfair) behandeln, mit einem gesunden maß an selbstliebe? (kinder können schließlich auch an andere denken, nachsicht üben, verzichten, um anderen eine freunde machen, etc., sind also keineswegs reine egoisten (im klassichen sinne)!)
2. neigen wir zu extremen? die heutige gesellschaft scheint mir die ich-zentrierung zu propagieren. kommt es daher, dass wir entweder extrem "ego-zentrisch" werden oder - als gegenbewegung - extrem "ego-unzentrisch"?
3. wie kann es sein, dass das egozentrische verhalten zwar gefördert wird (als bespiele möchte ich anführen: förderung extremen konkurrenzdenkens (getarnt als förderung von leistungsbereitschaft... zum beispiel in der schule), förderung von ellenbogenmetalität, die zum erfolg führt, gesellschaftspolitisch: teilweise miserable gehälter in berufen im sozialen (helfenden) bereich, unmoralisch hohe bezahlung für machtpositionen in ploitik und wirtschaft.
andererseits wirkt die erziehung dahingehend, dass kindern beigebracht wird, sich nicht zu wehren (ja, ihr lest richtig: sich nicht zu wehren!), wenn ihnen unrecht geschieht (was zu mehr missbrauch, mehr mobbing und in folge dessen mehr gewalt führt, weil es kein gesundes maß mehr gibt - auf beiden seiten nicht). darüber hinaus wird - in der öffentlichkeit - sozial orientiertes verhalten positiv bewertet, aber gleichzeitig abgewertet, indem es als im grunde unvernünftig dargestellt wird. (im sinne von: "das ist ja schon nett, aber das bringt dir doch nichts, wenn du dich für andere einsetzt. damit verdient man nichts. du wirst nur ausgenutzt. etc...).

fazit (in fragen):
was ist los?
ist das normale entwicklung oder ist es erziehung?
ist das wirklich gut so?
was lassen wir da mit uns machen?
lassen wir das mit uns machen?
warum tun wir das den kindern an?
was kann man dagegen tun?
will man etwas dagegen tun?

in der erziehung...
in der schule...
im umgang mit anderen...

und im umgang mit sich selbst...

zusatz:

die aussage finde ich wahr und traurig und sehe sie in einem gewissen zusammenhang mit dem oben überlegten... und komme zu dem schluss, dass es vielleicht gut wäre, wir würden wieder öfter unter unsere betten gucken... oder?

6 Kommentare:

  1. Nun, ich würde behaupten, dass man einen Teil davon sicher selber im Griff hat. Klar kriegt man im Leben öfter auf die Nase, wenn man nett ist, aber dafür hat man eben auch sehr viele Begegnungen, die auch nett zu einem sind. Ich denke, das Beste, was man machen kann, ist sich eine Menge vom inneren Kind zu bewahren und es nicht abzutöten. Beruflich ist das leider heutzutage so eine Sache - eine Portion "Arschlochfaktor" muss man schon mitbringen, sonst fressen einen die anderen auf. Ich weiss aber auch nicht, warum das so sein muss, bin aber ein verfechter von "Solange jemand nicht unhöflich wird, bin ich auch sehr nett." Was ich in diesem Zusammenhang nicht ausstehen kann ist, wenn jemand meine Schutzzone ignoriert. Also den armlangen Nahbereich, der für meine Freunde und Liebsten vorbehalten ist. Das ist mir in den letzten Jahren leider ein paar mal in Großstädten so gegangen und brachte mich zu dem Punkt, dass ein wenig Grundspannung nicht verkehrt ist, um abwehrbereit zu sein. Sicherlich auch ein Zeichen unserer Zeit.

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  2. Ich denke ich kann deinen überlegungen hier zustimmen. der generelle trend geht zum egoismus.ich stelle das besonders im sportlichen bereich fest. zum einen erinnere ich mich an meine eigene -spielerisch aktivere zeit, als wir ein jahr lang einen äußerst fähigen trainer hatten, der zudem sehr darauf bedacht war, uns zu einem team zu machen.es war anfangs nicht leicht einzelne davon zu "überzeugen", aber schließlich hat er es doch geschafft.das resultat war beeindruckend.jeder einzelne spieler war hochmotiviert, entwickelte sich technisch weiter und ich vermisse dieses "zugehörigkeitsgefühl zu einem rudel" bis heute. besagter trainer hatte im sinn, uns weiterhin als mannschaft spielen zu lassen, doch die anderen mannschaften,teils auch weil die spieler es zuließen, teilten uns in verschiedene teams auf.aus meiner sicht bestanden diese aber (fast) nur aus egoisten, was mit meinen vorstellungen eines teamsports nicht vereinbar ist, und mich dazu brachte, die höheren ligen zu verlassen, wie schon damals in die auswahl.
    jetzt habe ich seit neuerem wieder eine mannschaft als coach übernommen und stehe vor dem exakt selben problem wie mein trainer damals.wie mache ich aus egoisten und zweierteams eine funktionierende einheit?und natürlich schleicht sich der gedanke ein, lohnt sich das denn überhaupt?
    Ich komme zu dem schluß, dass es das tut, jetzt will ich mal sehen, ob mir das auch gelingt. das spielen im team, das gemeinsame ziehen an einem strang, erzielt meiner erfahrung nach "höhere" ergebnisse, als der einzelne "ellbogenstarke" es vermag. jetzt denke ich diesen gedanken weiter. läßt sich dieser versuch auch auf die gesellschaft anwenden?oder realistischer und kleiner gedacht, auf eine schulklasse?

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  3. ja, ich denke im grunde schon, dass sich das "rudelgefühl" in einer schulklasse erzeugen lässt, bis zu einem gewissen grade jedenfalls und wenn bereits ein gerüttelt maß an klassengemeinschaft da ist. in einer sehr uneinigen klasse ist das allerdings wiederum sehr schwierig... konflikte, selbst solche, die leide unter der oberfläche sitzen, sind immens stark in ihrer destruktiven wirkung...
    ich glaube darüebr hianus auch,dass amn ein bisschen ellenbogen braucht in der gesellschaft - nicht nur in der heutigen, eben, um zum beipsiel die von anonym beschriebene schutzzone aufrecht zu erhalten, oder auch, um sich gegen ungerechtigkeiten zu wehren - was aber seltsamerweise, wie ich ja oben schon ausgeführt habe - offenbar ein no-go ist... in gewissen kreisen, was mich wiederum wundert, wenn wir bedenken,dass letztlich sehr viele auf eine reine ellenbogengesellschaft hinarbeiten - in der erziehung jedenfalls... ein gruseliges paradoxon.
    den genannten notwenigen grad an ellenbogen halte ich aber nicht für unvereinbar mit einem gefühl von verbundenheit und respekt anderen gegenüber. ich glaube,er ist einfach überlebensnotwendig und muss ja nicht destruktiv eingesetzt werden. es ist schlicht eine gradwanderung... finde ich. :-)

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  4. Darüber müssen wir uns nochmal ausführlicher unterhalten, es fällt mir schwer zu glauben, dass schülern beigebracht wird, sich nicht zu wehren! (deinem wort glaub ich natürlich;))oder meinst du durch den generellen schulbetrieb nach dem motto "widerspreche ich dem lehrer gibts auf die mütze"? und ellbogen braucht man auf jeden fall, es ist eher die frage wie wir sie einsetzen, oder wann.
    Oh, and I totally agree that we should look for monsters under our beds more often! ;)

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  5. yes, we should! absolutely!

    ich denke tatsächlich, dass kindern beigebracht wird, sich nicht zu wehren, und damit einhergehend vor allem nicht, wie. was dann zu extremen reaktionen führt, weil sie ja gar nicht mehr wissen, wie das geht. sie lernen auch nicht mehr, situationen richtig einzuschätzen. stattdessen ist dann jede harmlose hänsellei gleich "mobbing" - wirklich schwere fälle fallen da dann gerne auch mal unter den tisch - nach dem "wolf-geschrei-motto"...
    auch, sich gegen autoritäten aufzulehnen kommt zur zeit wieder etwas aus der mode, denn für die autoritäten war das ja schon immer lästig... und dazu kommen dann die vielen unsicherheiten in der heutigen gesellschaft - da geht das unterdrücken der gegenwehr natürlich sehr leicht...

    natürlich ist das alles recht extrem: ich spreche von den ärgsten auswirkungen. aber die gibt es eben und ich bemerke sie tag für tag.

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  6. ich bin der meinung, dass kindern heutzutage vor allem beigebracht wird, dass sie immer im recht sind. natürlich werden noch bestimmte autoritäten genannt, wie z.b. die eltern selbst, diverse verwandte, personen, die so aussehen, als hätten sie das alter der eigenen eltern (wobei ich selbst in diesem fall langsam zu zweifeln anfange) politiker, menschen im öffentlichen dienst.
    wenn ich jetzt aber in das schulleben schau, dann stell ich fest, dass noch vor ca. 10 jahren die 'ganz kleinen' sehr viel mehr respekt gegenüber den 'großen' gehabt haben. ich gehe dabei von mir selber aus und denke, dass ich mich rückblickend einigermaßen richtig einschätzen kann. im gegensatz dazu komm ich dieser tage immer häufiger in die situation, von den 'kleinen' auf dem gang halb umgeschmissen zu werden, weil sie der ansicht sind "wir sind jetzt da und wollen fangus spielen - alle, die um uns 'rum stehen sind unwichtig und uns egal".
    diese respektlosigkeit, finde ich, sollte in keinem zusammenhang mit der erziehung des elternhauses stehen, denn von dort aus werden die kinder auf das leben in der großen weiten welt vorbereitet und sollten wenigstens die grundregeln - respekt vor anderen, höflicher umgang, toleranz, etc. - unseres menschlichen zusammenlebens vermittelt bekommen.
    bleibt nur die frage, ob den eltern die erziehung ihrer kinder immer gleichgültiger wird, nach dem motto "learning by doing" und die kinder deshalb ab einem bestimmten zeitpunkt die ellenbogen-technik anwenden, weil sie merken "hey, damit komm ICH durch!"...

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